Österreich ist immer noch Weltmeister im Bodenverbrauch, doch im Land Salzburg ist die Zeit der Einfamilienhausromantik vorbei. Wohnraum, ob in der Stadt oder in ländlichen Regionen, ist kaum mehr leistbar. Diesem Handlungsbedarf begegnet das Bundesland unter anderem mit einem Forschungscluster, der vorhandene Ressourcen bestmöglich nutzen soll. Dazu gehören neben Raum, erneuerbaren Energiequellen und lokalen Baustoffen auch die Einbindung von Politik, Verwaltung und Forschung sowie regionaler Bauwirtschaft mit zahlreichen Klein- und Mittelunternehmen (KMU). Bei der Umsetzung wurde das Land Salzburg von der Innovation Salzburg GmbH als Innovationsagentur des Landes und einer EFRE-Regionalförderung unterstützt.
Nutzungskonflikte müssen smart gelöst werden
Walter Haas, Geschäftsführer der Innovation Salzburg GmbH, bewertet das Forschungs- und Transferzentrum „Alpines Bauen“ aus einer Vogel- und einer Binnenperspektive: Salzburg vereint mit seinen Höhenlagen das gesamte Abbild der Alpen. Hier wird von 300 Meter bis 3.000 Meter Seehöhe gebaut. Das Land ist also wie ein Reallabor für die Witterungs- und Klimaverhältnisse im Alpenraum und verschiedene Raumtypen, ob urban oder ländlich.
"In den knapp bemessenen Tallagen müssen Nutzungskonflikte zwischen leistbarem Wohnen, Verkehr, Landwirtschaft, Naturschutz, Gewerbe, Tourismus und Infrastruktur intelligent gelöst werden. Was sich hier bewährt, kann in vielen anderen Regionen ebenfalls von Nutzen sein.“
Walter Haas, Geschäftsführer Innovation Salzburg GmbH
Am Zentrum „Alpines Bauen“ werden ökologische, ressourcenschonende, energieeffiziente, leistbare und komfortable Wohn- und Lebensräume für Salzburger Siedlungen entwickelt. Die inhaltlichen Schwerpunkte orientieren sich an den mittelfristigen Zukunftsstrategien und Masterplänen für Salzburg. So soll erreicht werden, dass Gebäude, Siedlungen und Städte auf Basis effizienter Systeme, intelligenter Vernetzungstechnik, optimierter Gebäudehülle und strategischer Planung mit vorhandenen und erneuerbaren Ressourcen das Auslangen finden und vorhandene Flächen effizient nutzen.
Forschung hilft lokaler Bau- und Planungswirtschaft
Über eine Laufzeit von fünf Jahren (2018 bis 2022) ist es mit dem Pilotprojekt gelungen, komplementäre Kompetenzen der Fachhochschule (FH) Salzburg und des Forschungsstudios iSPACE der Research Studios Austria Forschungsgesellschaft zu bündeln und auszubauen. Im Fokus des Transferzentrums steht angewandte Forschung für die lokale Bau- und Planungswirtschaft. Die enge Zusammenarbeit gab es zuvor nicht, „doch wir haben etliche Schnittstellen von der Datenmodellierung, Geoinformatik sowie Simulationswissen bei uns zu den ingenieurwissenschaftlichen Kompetenzen in Konstruktion, Architektur, Gebäudetechnik und Energieinfrastruktur an der FH Salzburg identifiziert“, betont Thomas Prinz, wissenschaftlicher Geschäftsführer der Research Studios Austria.
Für Walter Haas von der Innovation Salzburg GmbH wurde mit dem Cluster ein Vorbild geschaffen, wie Forschungskompetenzen zu einer kritischen Größe gebündelt und gestärkt werden können. Damit wird Salzburgs Forschungslandschaft durch intelligente Spezialisierung auch überregional sichtbar.
Simulationen zeigen Potenzial bestehender Strukturen
Etwas Neues auf die sprichwörtliche „Grüne Wiese“ zu stellen ist planerisch einfacher, als bestehende Strukturen zu vernetzen und besser zu nutzen. Aber den Bestand weiter zu entwickeln, ist auch gegenüber jedem hochtechnologischen Neubau der CO2-sparendere Weg. In der Forschung treffen also Datenmodelle und Potenzialkarten von Geländeausrichtung und Gebäudekubatur auf bauliche Praxis-Parameter und Umsetzungs-Know-how. Vereinfacht könnte man es so beschreiben: iSPACE definiert und simuliert mit Daten und Modellen, welche Strukturen und Einflussfaktoren vorliegen. Die FH Salzburg setzt dort an und legt fest, mit welchen Technologien an, im und auf dem Gebäude die Ziele erreicht werden. Im Versuchsgebäude „Twin2Sim“ in Kuchl prüft man Fassaden dann noch auf Herz und Nieren beziehungsweise Wind und Wetter.
In den Gemeinden Oberndorf und Bergheim wurde bereits eine Flächennutzungs-App für Nachverdichtung und intelligente Bestandsentwicklung getestet. Nun geht es darum, die digitalen Prototypen im gesamten Bundesland mit Flächenentwicklern und Gemeindeplanerinnen auszurollen.
„Unsere Werkzeuge müssen als Steuerungsinstrumente im Bundesland und allen Gemeinden noch stärker politikverbindlich werden.“
Dr. Thomas Prinz, Geschäftsführer Research Studios Austria FG & Studioleiter Research Studio iSPACE – Smart Settlement Systems
„Ein Holzbausystem für die vertikale Nachverdichtung ist bereits frei verfügbar. Mit einem Energieflexibilitätstool können Fernwärmenetzbetreiber zudem den weiteren Ausbau der Netze stundenweise genau auslegen“, ergänzte Markus Leeb, Forschungsgruppenleiter Smart Building an der Fachhochschule Salzburg. Dadurch ist es möglich zu beurteilen, welche Vorteile sich durch Sanierung und Nachverdichtung ergeben und inwiefern Gebäude als Speicher dienen können, um Lastspitzen zu kappen. Die Experten sind zudem überzeugt, dass sich Salzburg mit dem Zentrum auf strengere Vorgaben in Hinblick auf Green Transition, Klimaresilienz und Flächenverbrauchsziele gut vorbereitet hat.
Unterstützung durch Beirat
In dem mehrjährigen Arbeitsprogramm wurden Forschungsfragen für die Stakeholder gezielt bearbeitet und beantwortet. Dank der nachhaltigen Finanzierung gelang es, Expertise und Personal aufzubauen und eine höhere Kontinuität und Qualität in der Forschung anzustoßen. Das wäre nur mit aufeinanderfolgenden Projektfinanzierungen nicht möglich gewesen, ist Prinz überzeugt. Über einen engagierten Beirat, in dem sich Vertreter:innen von Interessenverbänden, der Wirtschaft und öffentlicher Verwaltung engagierten, gelang der Know-how-Transfer.
Für Haas wurde mit dem Forschungs- und Transferzentrum der Begriff „Multi-Level-Governance“ – also die abgestimmte Steuerung von Entscheidungsebenen in Politik und Verwaltung im Schulterschluss mit der Wirtschaft und den Anwendern – erfolgreich aus der Theorie in die Praxis überführt: „Im Beirat waren alle mit Feuereifer dabei und haben viel Zeit in fachliche Diskussionen investiert. Die KMU der Bauwirtschaft haben den Ball aufgenommen und insgesamt ist ein Austausch auf Augenhöhe geglückt.“ Auch Prinz begrüßt „die begleitende Reflexion des Arbeitsprogramms und den strukturierten Austausch mit der bauwirtschaftlichen, raumplanerischen und politischen Praxis“.